Liegeradwochenende in Bremen - LieBre 2023

 

 

 

Nach mehr als einem Jahr Vorbereitung war es endlich so weit. Das zweite große Liegerad-Wochenende in Bremen konnte beginnen, für einige des Orgateams sogar schon mittags mit der Schlüsselübergabe und einigen Aufbauarbeiten in der Homebase, dem LidiceHaus. Zentral gelegen und dennoch im Grünen war das LidiceHaus der ideale Startpunkt für die Aktivitäten, welche der Bremer Liegeradtreff organisiert hatte. Der Nachmittag verging bei Kaffee und Kuchen mit Schnackerei wie im Flug und bis zum Abend standen dann fünfzig Liegeräder und Velomobile vor der Tür. Nach der offiziellen Begrüßung alter Bekannter und neuer Gesichter begann auch gleich das Abendprogramm.

 

Freitag:

 

FOCKES WINDKANAL

 

Gut 30 ZuhörerInnen waren mucksmäuschenstill, als Dr.-Ing. Kai Steffen das Wirken des Bremer Flug- und Luftfahrt-Pioniers Henrich Focke in Wort und Bild beschrieb. Mit der Zeit wuchsen Fockes Erfahrungen und Flugzeuge, nicht unwesentlich beeinflusst von der Welt(kriegs-)Geschichte. Als Prof. Focke von den Nazis aus den Focke-Flugzeugwerken gedrängt wurde, konzentrierte er sich auf den Bau von Trag- und Hubschraubern. Die technischen Fortschritte seiner Hubschrauber wurden nach dem Krieg von Intrigen und Pech der Herstellerfirmen verfolgt, obwohl diese Hubschrauber ihrer Zeit deutlich voraus waren.

 

Prof. Focke hatte den Windkanal in der Nähe des Bremer Hauptbahnhofs selbst gebaut und darin in seinen letzten 15 Lebensjahren Forschungen zu Strömungen, Auftrieb, Luftwiderstand usw. an Flugzeug- und Flügelmodellen gemacht. Die Leistung des Vortragenden liegt in der Rettung des lange verloren gegangenen Windkanals, dem weltweit einzig erhaltenen Windkanal eines wichtigen Flugpioniers! Die Ignoranz der Familie Fockes, aber auch der öffentlichen Institutionen und von befragten Firmen hätten fast zum Verlust des heruntergekommenen Windkanals geführt. Durch unermüdlichen Einsatz des Vortragenden, u.a. mit freiwilligen Helfern (Student:Innen) gegen diese Institutionen konnten spät Gelder und Hilfen gewonnen werden. Auf beeindruckenden Bildern konnten man erkennen, wie aus Schrott, Schimmel, Wasser- und Holzbockschäden der Windkanal nahezu identisch wieder aufgebaut bzw. gerettet werden konnte. Hierfür wurde 2005 dem Verein „Focke Windkanal e.V.“ mit dem Vorsitzenden Dr. Kai Steffen die Silberne Halbkugel für den außergewöhnlichen, selbstlosen Einsatz zur Rettung eines einzigartigen technischen Kulturdenkmals verliehen.

 

NIGHT RIDE – Liegerad-Kino:

 

Zu einem Film-Night Ride ging es kurz vor Einbruch der Dämmerung für etwa 25 Interessierte los. Das Projekt Bremen-BIKE IT hatte den Termin passend zum LieBre auf genau diesen Freitagabend gelegt. Anlässlich des Deutschland-Tour Schlussevents am Sonntag in Bremen hatte Peter Sämann Kurzfilme rund ums Thema Radrennen zusammengestellt und präsentierte diese umsonst und draußen.

 

Station 1 war gleich bei der Rolandklinik in Huckelriede, wo es einst die erste Radrennbahn Bremens gab. Der auf einem Lastenrad montierte Beamer projizierte die Bilder auf die zwischen Bäumen gespannte Leinwand – open-air-Kino mobil!

 

Station 2 war die ÖVB-Arena: Liegeräder statt Bremer Sixdays.

 

Die Schlussprojektion gab es auf eine Betonwand in der Überseestadt, wo am Sonntag auf der langen Geraden der Konsul-Smidt-Straße die Mannschaften der „Deutschland Tour“ ihre drei Schlussrunden sprinten. Hier drehten sich die Filme vor allem um verschiedene Tour de France-Blickwinkel.

 

Samstag:

 

BLICKE IN DIE WERKSTÄTTEN UMZU

 

Neun Liegeradler brachen auf, um die Werkstätten von Jochen Franke in Buchholz zu besuchen. Hier wurden wir mit einer kräftigen Suppe, die vorzüglich mundete, begrüßt und konnten uns von den Strapazen (dem Abwehren einer uns behäbig folgenden Regenwolke durch das Unterstellen in einem offenen Fachwerkschuppen bei kurzweiligem Klönschnack und dazu gereichten Keksen) erholen.

 

Die Werkstätten von Jochen sind auf jeden Fall sehenswert, da sie ausstattungstechnisch nichts zu wünschen übrig lassen, wenn man Fahrräder oder Trikes bauen möchte. Vor allem die Trike-Sammlung – je eins aus jedem durchgeführten Selbstbauworkshop – war eindrucksvoll. Auch Anhänger – die Flunder – zeigten den Ideenreichtum, den Jochen im Fahrzeugbau hat. (Kleiner Hinweis: Jochen möchte seinen Fuhrpark verkleinern. Also, wer ein solides Liegerad sucht …!)

 

Nach dem kurzweiligen Besuch – viele hätten wohl länger bleiben wollen – ging es dann weiter zu Henning Tesch von „Velomobile Ottersberg“. Hier konnte man in diversen Velomobilen probesitzen und sich von den beginnenden Baumaßnahmen der neuen Geschäfts- und Werkstatträumen ein Bild machen. Natürlich konnte man sich auch hier wieder stärken, denn der schlaue Liegeradler lässt bekanntlich ja kein Kohlehydrat ungenossen an sich vorüberziehen.

 

AALTO HOCHH(in)AUS! – Zum bewohnten Denkmal

 

Im Foyer des Hauses - einem Hoteleingang nachempfunden - weihte uns Herr Diehl in das Gedankengut und das Konzept des Architekten Álvar Aalto ein. Von ihm ist das 1959 bis 1961 erbaute Haus geschaffen worden. Eigentlich sei es kein Hochhaus, denn, nach Aalto: Man solle sich gestapelte Einfamilienhäuser vorstellen! Individualität und Rückzugsraum in den Wohnungen, verbunden mit der Möglichkeit der Interaktion und Kommunikation in einem dafür geschaffenen offenen Raum auf jeder Etage mit einen nach Südwesten ausgerichteten Balkon, auf dem man nach Feierabend die Sonne genießen kann.

 

Für uns war noch nicht Feierabend. Draußen war es wieder trocken und wir erhielten beim Rundgang ums Haus viele Informationen über die Sanierung unter „Denkmalschutz-Augen“, Die ca. 65 Höhenmeter zur Aussichtsplattform konnten wir im Fahrstuhl überwinden. Oben war es immer noch trocken und die Sicht war klar und weit. Nach dem Ausblick auf die Galopprennbahn und vieles mehr kam der Einblick in eine geräumig wirkende und geschmackvoll eingerichtete 60qm-Wohnung. Unseren Rückweg hatten wir schon von oben sehen können: Durch die Vahr und auf dem kürzlich neu eröffneten 5 Meter breiten, asphaltierten Weg quer über die (ehemalige, aber immer noch grüne) Galopprennbahn in Richtung Weserwehr und Lidice-Haus.

 

Metalhenge & More:

 

Hier galt es Orte des praktischen Klimaschutzes in Bremen zu entdecken.

 

Lastenräder - Made in Bremen bei VELO LAB. Nach einem interessanten Einblick in die Herstellung der Räder und deren Konzepte gab es eine gute Gelegenheit eines der Räder selbst zu (er)fahren. Gerne wurde das Angebot angenommen und eine kleine Probefahrt gemacht. Nun aber weiter zum eigentlichen Ziel dieser Tour, dem Metalhenge.

 

Bremer_innen ist diese Attraktion als Müllberg bekannt. Offizieller Name ist Blocklanddeponie, welche bereits 1969 in Betrieb genommen wurde. Sie ist mit knapp über 50 m die höchste Erhebung Bremens. Der älteste Teil der Deponie hat die Stilllegungsphase abgeschlossen und wurde vollständig renaturiert. Heute befindet sich mit dem Metalhenge ein interessantes Gebilde auf dem „Müllberg“, welches mit der Anordnung der Metallstehlen an Stonehenge erinnert. Aber auch die Aussicht ist sehenswert, da auf der einen Seite das naturnahe Blockland zu sehen ist und auf der anderen Seite die City von Bremen mit den markanten Gebäuden wie dem Dom und dem Weserstadion, aber auch die Stahlwerke waren zu sehen. Es hat Freude gemacht, die einzelnen Landmarken wieder zu erkennen.

 

Eine kleine Pause haben wir dann noch in Bremen-Walle an dem Wohnprojekt „waller wohnen“ eingelegt. Hier wurde nachhaltig geplant und gebaut. Die Anlage verfügt über eine Photovoltaikanlage zur Stromversorgung und wird mit Fernwärme geheizt. Wo die wohl herkommt…? ;)

 

WENIGER WIDERSTAND – aber wie?

 

Versteckt in einem Hinterhof finden Eingeweihte nahe dem Hauptbahnhof den „Focke Windkanal“ (focke-windkanal.de), welcher aufgrund der engen Räumlichkeiten nur in kleinen Gruppen besucht werden kann.

 

Die wartenden Teilnehmer wurden im Hinterhof von Olaf von Engeln vom Windkanal-Verein bei Kaffee, Tee und Kuchen begrüßt und mit recht lebendigen und „windigen“ Geschichten bei Laune gehalten.

 

Bei diesem Bericht fällt es schwer den Fokus zu setzen. Es ist faszinierend, mit welch einfachen Mitteln der Windkanal gebaut wurde. Aber auch welcher Aufwand notwendig war, um bei der Restaurierung herauszufinden, was, warum, und wie es ursprünglich ausgeführt war.

 

Henrich Focke hat große Teile des Windkanals aus Sperrholz in den vorhandenen Raum gebaut und z.B. eine vorhandene Tür mit Sperrholz so verkleidet, dass diese die Luftströmung nicht stört, aber zu Reinigungszwecken weiterhin geöffnet werden kann. Ofenrohre und eine Gardine dienten dazu, die Luft von Turbulenzen zu befreien.

 

Die Vereinsmitglieder organisierten z.B. eine Originaltapete bei einem Tapetensammler und fanden alte Druckwalzen, welche in anderen Bereichen die Wandbemalungen wieder herstellen konnten. Sogar alte Tablettendosen wurden benötigt, um eine Widerstandskaskade zu restaurieren.

 

Für uns war die Heckhutze eines Velomobils (von Helge Hermann vom Räderwerk spendiert) auf einem Messtisch vorbereitet.

 

Mit Rauch, welcher über ein Rohr in den Strömungsbereich geblasen wurde, konnte der Luftstrom sichtbar gemacht werden, während Waagen unter dem Messtisch die auftretenden Kräfte gemessen haben.

 

Vor die Heckhutze wurde ein Modellkopf gestellt. Kleine Strömungsveränderungen entstanden durch Variation der Entfernung zwischen Hutze und Kopf. Mit Hilfe eines Käppis oder eines Fahrradhelmes konnten wir den Luftwiderstand erstaunlicherweise halbieren. Wiederholte Versuche konnten diese große Differenz leider nicht vollständig reproduzieren.

 

RADTOUR PUR – mit (ohne) Schwimmvergnügen

 

Mit Antje ging es auf eine Fahrrad-Sightseeing-Tour links der Weser: den Weser-Radweg benutzt, auf dem Deich am Flughafen entlang, den Sodenmatt-See umrundet, das „Tabakquartier“ bestaunt, beim Holzgroßhandel Hölzer aus aller Welt und bei Becks Bierduft gerochen. Jetzt ist der Hunger fürs Grillen groß genug, also schnell in die Homebase!

 

ANCORA UN GIRO - Vortrag über eine spezielle Italienreise:

 

Nach dem Abend-Essen hat uns Jörn Bießler mit seinem Bilder-Vortrag nach Italien entführt. Motto der Reise: „Ancora un giro - Noch eine Runde“. Hört sich harmlos an, sind aber mächtig viele Kilometer (ca. 3.000) und Höhenmeter in drei Wochen, die von anfangs 12 Velomobilisten angegangen werden. Man könnte das als Hochleistungs-Reisen (ohne Bier-Doping geht das doch gar nicht!? 😃) bezeichnen, aber Jörn hat uns glaubhaft vermittelt, dass die Späße, die Natur-Beobachtungen, die Kontakte am Wegesrand, die kulinarischen Genüsse (immer in doppelten Portionen), die prachtvollen Gebäude, die Fahrgemeinschafts-Erlebnisse in keiner Weise zu kurz gekommen sind. Einen solch überzeugten Velomobilisten zu erleben, hat einfach Freude gemacht. Schwupps waren 2 Stunden fort!

 

Sonntag:

 

AB(SCHLUSSTOUR) ANS WASSER!

 

Vor der Abschlusstour musste natürlich erstmal ein Abschlussfoto vor unserer Zeltwiese gemacht werden. Dann, entsprechend dem Motto „Ab(schlusstour) ans Wasser“, unterquerten wir stadtauswärts auf Deichwegen entlang am Werdersee die Strecke der „Deutschlandtour“, auf der die Rennradler stadteinwärts fuhren.

 

Verschiedene stehende und mehr oder weniger fließende Gewässer, die überwiegend der Entwässerung dienen, waren links oder rechts unserer Wege durch Habenhausen, Huckelriede und Kattenturm bis Kattenesch zu sehen. Entlang der Ochtum und durch den Park Links der Weser, also durch den grünen Bremer Süden, erreichten wir den Wardamm und fuhren am “Storchennest“ vorbei. Beides erwähnenswert, weil beides aus dem 16. Jahrhundert. Damals die einzige schon gepflasterte Wegverbindung von Bremen über Delmenhorst nach Oldenburg (!) und ehemalige Zollstation. Wir zollten (vielleicht) Respekt und gelangten über einen letzten (Ochtum-)Deichweg nach Rablinghausen. Dort erreichten wir das Lankenauer Höft „am Wasser“ (!), nämlich an der Weser, mit der Einfahrt zum Neustädter Hafen.

 

Im dortigen „Beach-Club“ konnte dann locker noch etwas gechillt werden, mit Blick auf Wasser, Wellen, Sand und Schiffe (bzw. robuste Hafenkulisse), bevor es individuell auf die Heimreise ging. Einige setzten dann noch mit der „Pusdorf“-Fähre über die Weser, um am Nachmittag kurz vor dem großen Wasserausbruch von oben das haarscharfe Sprintfinale der Deutschland-Tour beim Ziel in der Bremer Überseestadt aus nächster Nähe mitzuerleben. Die kurz danach quer über den Himmel zuckenden Blitze bildeten dabei das beeindruckende Schlussfeuerwerk.

 

Texte: Antje, Bernd, Christine, Friedrich, Gunnar, Hans-Hermann, Klaus-Peter, Ulf, Wollfgang